16/04/2010

glaubensFrage



Die fünfzigste Pforte

Ein Schüler Rabbi Baruchs hatte, 

ohne seinem Lehrer davon zu sagen, 
der Wesenheit Gottes nachgeforscht 
und war im Gedanken immer weiter vorgedrungen, 
bis er in ein Wirrsal von Zweifeln geriet 
und das bisher Gewisseste ihm unsicher wurde. 
Als Rabbi Baruch merkte, 
dass der Jüngling nicht mehr wie gewohnt zu ihm kam, 
fuhr er nach dessen Stadt, 
trat unversehens in seine Stube und sprach ihn an: 
"Ich weiß, was in deinem Herzen verborgen ist. 
Du bist durch die fünfzig Pforten der Vernunft gegangen. 
Man beginnt mit einer Frage, 
man grübelt, ergrübelt ihr die Antwort, 
die erste Pforte öffnet sich: in eine neue Frage. 
Und wieder ergründest du sie, findest ihre Lösung, 
stößest die zweite Pforte auf - und schaust in eine neue Frage. 
So fort und fort, so tiefer und tiefer hinein. 
Bis du die fünfzigste Pforte aufgesprengt hast. 
Da starrst du die Frage an, die kein Mensch erreicht; 
denn kennte sie einer, dann gäbe es nicht mehr die Wahl. 
Vermissest du dich aber, weiter vorzudringen, 
stürzest du in den Abgrund." 
"So müsste ich also zurück an den Anfang?" rief der Schüler. 
"Nicht zurück kehrst du", sprach Rabbi Baruch, "wenn du umkehrst; 
jenseits der letzten Pforte stehst du dann, 
und stehst im Glauben."

aus: Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim









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